Rede beim Antikriegstag 2019

Liebe Freundinnen und Freunde,

am Antikriegstag stehen wir hier zusammen an einem Ort, an dem KEINE Bomben fallen, an dem in unserer unmittelbaren Umgebung NICHT geschossen wird, aber heißt das denn auch, dass wir tatsächlich in Frieden leben, wie es uns die Erzählung von Wirtschaftsbossen und Turbokapitalisten, von Neoliberalen und der Mehrheit unserer Politiker weismachen will?

Die seit Jahren stattfindende sog. „Neuordnung der Welt“ ist aber keine Ordnung im Sinne von Vereinbarungen und Regelungen zum friedlichen Zusammen- und Überleben der Völker, sondern – wie auch jeder einzelne Krieg – ein Verteilungskampf um unsere globalen Ressourcen, um die politische und wirtschaftliche Kontrolle und die Aufteilung der Welt zu Lasten von mindestens 99% ihrer Bewohnerinnen und Bewohner und sie verursacht die globalen Wanderungsbewegungen: 71 Millionen Menschen sind inzwischen weltweit auf der Flucht.

Der unmittelbarste Auslöser dieser Fluchtbewegungen sind kriegerische Konflikte, die derzeit in nicht weniger als 28 Regionen der Erde stattfinden. Hinzu kommen die immer stärker sich verschärfenden Handelskriege und allein dieses perfide Wort macht schon deutlich, dass es den Herrschenden hier nicht um die Lösung der Probleme der Welt geht, sondern um die Aufteilung von Absatzmärkten. Echte Lösungen für die Menschen vor Ort kommen in solchen Begrifflichkeiten nicht vor. Menschen, denen durch die absurden Dynamiken von Im- und Exporten der Großmächte die Basis für das Überleben entzogen wird.

Wenn Bundeskanzlerin Merkel nach Afrika fliegt, um angeblich Fluchtursachen zu beseitigen, dann sitzen im gleichen Flugzeug die mächtigsten Wirtschaftsbosse des Landes. Handelsabkommen werden uns als Lösungen präsentiert. Ob diese sinnvoll oder gar gerecht sind, diese Frage wird gar nicht erst gestellt. Eines der zynischsten Beispiele für derartige wirtschaftliche Mechanismen ist, dass wir – weil die Deutschen, wenn sie Hähnchen essen, in der Regel nur die Flügel und die Brüste verwerten, – das übrigbleibende Fleisch per Flugzeug nach Nordwestafrika transportieren, wo es günstiger verkauft wird, als die dort selbst gezüchteten Hühner und so direkt die lokale Subsistenzwirtschaft zerstören. Was für ein trauriges Bild: wir verdienen sogar noch am Verkauf unserer Abfälle und zerstören dabei die Lebensgrundlagen kompletter Regionen. Was bleibt denn den in diesen Gegenden wohnenden Menschen dann anderes übrig, als zu fliehen und zu versuchen, Zugang zum reich gedeckten Tisch der westlichen Industrienationen zu bekommen.

An diesem Beispiel wird auch ein anderer Nebeneffekt der ungerechten Verteilung von Ressourcen deutlich: das in Flugzeugen transportierte tiefgekühlte Fleisch hat einen immer größeren Anteil an der negativen CO2-Bilanz und damit an der unmittelbaren Zerstörung unserer Umwelt.

Die Klimakrise als solche ist natürlich ein weiterer Auslöser von globaler Migration: steigende Meeresspiegel, die Austrocknung oder Überflutung riesiger Regionen beschleunigen sie genauso, wie die Verschlechterung der Agrarsysteme durch Raubbau von Bodenschätzen oder die permanente Ausweitung von Monokulturen. Es ist ein ewiger Kreislauf: in den Industrienationen können wir mittlerweile fast jedes Nahrungsmittel kaufen, das irgendwo auf der Welt wächst, aber diejenigen die sie uns verkaufen, verhungern weil sie uns versorgen, satt sich selbst. Und wenn sie dagegen aufbegehren, dann steht im Handumdrehen fremdes Militär vor der Haustüre, werden Soldaten zur „Absicherung des Friedens“ geschickt, eines „Friedens“ der nur die vollen Regale in unseren Supermärkten meint.

Und diese Armeen bringen zusätzlich eine weitere Verschärfung der globalen Klimakrise mit sich: Kriege haben einen erheblichen Anteil an der schlechten Ökobilanz der Welt haben und zwar nicht nur dort, wo Ressourcen zerstört, Ölfelder verbrannt oder Lebensräume vernichtet werden. Das amerikanische Militär ist z.B. der größte einzelne Verbraucher der Welt: für jeden Passagier, der von München nach Mallorca fliegt, werden etwa 100 Liter Kerosin verbrannt. Die US-Armee hingegen verbraucht 48 Millionen Liter Öl pro Tag, was in etwa einem Siebtel des gesamten Ölverbrauchs in Deutschland entspricht. Wir müssen uns also vor Augen halten, dass es zwar ehrenwert und moralisch richtig ist, wenn wir unseren Fleischkonsum einschränken oder Flüge vermeiden … die Erderwärmung kann dadurch allein jedoch nicht aufgehalten werden. Das geht nur, wenn es uns gelingt, die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse unser Erde zu ändern und zwar so schnell das irgendwie möglich ist. Denn es kommt auch noch hinzu, dass bei der Berechnung der globalen Klimaziele, welche die Erderwärmung stoppen sollen, Kriege und Armeen explizit NICHT mitberechnet werden.

Unter diesem Hintergrund muss man auch beleuchten, was es bedeutet, wenn eine permanente weitere Erhöhung der Militärausgaben gefordert wird, wenn ausgerechnet Ursula von der Leyen mit einer politischen Rochade an die Spitze der EU gehievt wird, um dort u.a. das Projekt einer gesamteuropäischen Armee voranzutreiben. Und warum dem dadurch vakanten Posten im Verteidigungsministerium so eine Bedeutung eingeräumt wird, dass die eigentlich als Kanzlerin vorgesehene Annegret Kramp-Karrenbauer auf diesen nachrückt.

Militärische Logik ersetzt zunehmend politische Mechanismen. Das sieht man auch daran, dass die weltweiten Militärausgaben 2018 so hoch waren wie seit 30 Jahren nicht mehr: 1,8 Billionen Dollar waren es laut Handelsblatt – eine Zahl mit 14 Stellen. Mit dem gleichen Geld könnt man z.B. ein Viertel der weltweiten Ausgaben für Gesundheit finanzieren. Oder fast ein Drittel des globalen Bildungsbudgets.

Der unfaire Zugang zu Einkommen, Gesundheit und Bildung ist übrigens der dritte zentrale Auslöser für die weltweiten Fluchtbewegungen und der vierte ist die katastrophale Menschenrechtslage im überwiegenden Teil der Erde. Despoten und Diktatoren die daran Schuld sind, werden jedoch von unseren Regierungen gestützt: mit die meisten Waffen aus Deutschland werden nach Saudi-Arabien verkauft, wo Menschenrechte im besten Fall ein Fremdwort sind. In dieser globalen Krise, die also so viele Themen und Lebensbereiche umfasst, erleben wir jetzt auch noch den Aufschwung rechtsnationalistischer Kräfte und dieser reicht bis an die Spitze unserer eigenen Regierungen: Johnson, Orban, Erdogan, Bolsonario, Trump, Salvini und wie sie nicht alle heissen zersetzen unsere Demokratien von innen heraus und treiben die Spaltung unserer Gesellschaften voran. Damit wird selbst Innenpolitik in vielen Ländern zum Schauplatz des globalen Krieges und seiner Logik. Und hier erlangt die soziale Frage eine immer stärkere Bedeutung, die sich in der ungerechten Verteilung gesellschaftlich erwirtschafteten Reichtums widerspiegelt: während die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung nur noch 3 Prozent des deutschen Vermögens besitzt, kommen die reichsten 10 Prozent auf 55% des Besitzes.

Aber wie reagieren unsere Regierungen auf all die beschriebenen Entwicklungen? Unsere vorherrschende Politik bereitet sich bereits massiv auf die kommenden sozialen Konflikte vor: Polizeigesetze werden verschärft, Überwachung massiv ausgebaut, individuelle Freiheiten eingeschränkt. Statt die sozialen Probleme zu lösen wird auch hier aufgerüstet, wird auch hier ein Krieg geführt oder zumindest vorbereitet: und zwar der gegen all diejenigen, die mit dieser Entwicklung nicht einverstanden sind, die Mittel und Wege für ein friedliches, sozial-gerechtes Zusammenleben suchen, die sich für Menschenrechte und Vielfalt einsetzen, für eine offene Gesellschaft und für Mitmenschlichkeit.

All das, was ich hier in groben Zügen gerade skizziert habe, kann den Einzelnen ohnmächtig machen, und das soll es wohl auch. Wenn man diesen gesamten Komplex ins Verhältnis zu den 8 Jahren setzt, die uns ungefähr noch bleiben, um die Erderwärmung abzubremsen, dann kann man apokalyptische Zustände befürchten, man kann sich zurücklehnen, die paar Jahre die einem noch bleiben „genießen“ und „nach mir die Sintflut“ sagen. Man kann aber auch die Verantwortung erkennen die jede und jeder Einzelne von uns jetzt hat, wenn wir das Überleben der Menschen sichern wollen, wenn wir den Generationen nach uns eine soziale-gerechte Gesellschaft übergeben wollen. Man kann aufstehen und sagen: dieser Krieg läuft ohne mich, an egal welcher Stelle und man kann damit beginnen, sich für ein gutes Leben für alle einzusetzen. Es ist schon fast egal, ob man für sich selbst dabei den Schwerpunkt an der Frage der Ökologie setzt oder am Engagement gegen Kriege und Rüstungsexporte, am Widerstand gegen Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete oder an lokalen Verteilungskämpfen wie für das Recht auf Bildung, bezahlbares Wohnen, faire Arbeitsbedingungen und soziale Absicherung. Mehr denn je hängt alles mit allem zusammen und deswegen haben wir nur dann eine Chance, wenn wir genau das begreifen und wenn wir unsere Kämpfe, egal an welcher Stelle wir sie führen, zusammen denken und in Bezug zueinander setzen. Der vorherrschende weltweite Krieg funktioniert u.a. deswegen, weil er uns auseinanderdividiert, weil er verhindert dass wir die Zusammenhänge sehen, benennen und an allen möglichen Fronten aktiv werden.

Der Aufruf global zu denken und lokal zu handeln war deswegen selten so zutreffend und notwendig, wie er das gegenwärtig ist. Deswegen hab ich persönlich mich dafür entschieden, bei den kommenden Kommunalwahlen in München als Oberbürgermeisterkandidat anzutreten. Hinter dieser Entscheidung steht ein ganz konkretes politisches Projekt: gesellschaftliches Leben, dort wo es stattfindet grundlegend neu zu organisieren und als ersten Schritt eine solidarische Stadtgesellschaft aufzubauen. Politische Aktivistinnen und Aktivisten müssen sich selbst ermächtigen und an der Seite von progressiven Parteien auch stärker in parlamentarische Prozesse einmischen. Wir müssen demokratische Prozesse von unten grundlegend neu entwickeln, und wir müssen genau hinsehen, wer dafür glaubwürdige Partner sein können. Obwohl ich selbst parteilos bin, hab ich mich deswegen dafür entschieden, die verschiedenen Kämpfe nicht nur zusammen zu denken, sondern diesen Prozess auch ganz praktisch mit zu organisieren und gemeinsam mit Vertreter*innen der Linken zu versuchen, ihn als Bewegungspolitik zu gestalten, als einen Ansatz von widerständiger und rebellischer Stadtpolitik. Denn das Große beginnt im Kleinen. Das bedeutet, dass ich vorhabe, unseren Widerstand gemeinsam mit Euch und den wachsenden sozialen Bewegungen der letzten beiden Jahre ins Rathaus zu tragen. Es bedeutet, dass wir zum einen unsere Menschlichkeit in unserem Engagement für eine offene Gesellschaft erhalten, auf der Strasse und in vielfältigen Aktionen des zivilen Ungehorsams und dass wir sie zum anderen an ALLEN dafür möglichen Stellen in politische Prozesse umwandeln. Wenn wir also die Botschaft des Antikriegstages wirklich hören wollen und ernst nehmen, dann heisst das, dass wir uns nicht gegeneinander ausspielen lassen oder in Debatten über den richtigen Weg oder unterschiedliche politische Konzepte verlieren dürfen, sondern dass wir endlich damit anfangen müssen, unsere Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und uns mit ihnen zu DER gesellschaftlichen Kraft hin entwickeln, die den Traum von einer friedlichen Welt, den Traum vom sozialen und gerechten Miteinander, den Traum von einer Gesellschaft der vielfältigen Lebensformen und Lebensentwürfe praktisch werden lässt. Lasst uns gemeinsam an diesem Projekt arbeiten.

In diesem Sinne: Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus.


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