Rede zum CSD 2019

Hallo zusammen,ich möchte Euch anlässlich des Mottos „50 Jahre CSD“ auf eine kurze Zeitreise mitnehmen; meine eigene Geschichte, meine eigene Erfahrung und Biographie in München zum Thema CSD:

Ich war 1982 zum ersten Mal auf einem Christopher Street Day, der hieß damals noch nicht so – es war eine Demo gegen den §175. Es gab ungefähr 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer und im Gegensatz zu heute erkannte man die Schwulen unter den Teilnehmenden nicht daran, dass sie ein besonders schrilles oder buntes Outfit hatten, sondern dass sie vermummt mitgelaufen sind, weil sie Angst davor hatten, an ihren Arbeitsplätzen diskriminiert zu werden.

Ich selbst übrigens bin damals noch „solidarisch“ mitgegangen, als ungeouteter Schwuler. Und dann kam eine sehr schwierige Zeit in München, da werden sich die Älteren daran erinnern: Wir hatten einen Kreisverwaltungsreferenten namens Gauweiler, der hat Razzien durchgeführt in unseren Kneipen und Bars. Er hat die Forderung aufgestellt, AIDS-Kranke zu internieren (!) – das war damals wirklich das Wort. Es war also eine sehr beklemmende Zeit und nicht zuletzt diese Umstände haben dazu geführt, dass ich 1988 erst im Alter von 27 Jahren, mein Coming Out hatte.

Das ist heute zwar einfacher geworden, aber leider ist immer noch nicht alles gut. Und es führte auch dazu, dass in der damals entstehenden Community, es mir sehr schwer gefallen ist, einen Zugang zu finden, weil die sehr geschlossen und abgeschirmt war, was natürlich nachvollziehbar und verständlich ist – als Schutzraum – aber nicht das Ziel von gesellschaftlicher Gleichberechtigung und Gleichstellung sein kann.

Ich war 1990 in Madrid auf dem Christopher Street Day, da waren 110 Personen. Heute sind in Madrid über eine halbe Million Menschen, wenn dort Christopher Street Day gefeiert wird. Diese Zusammenhänge machen immer Mut: Es fangen wenige an und es werden mehr.

Und als ich dann in München zurück war, hab ich mich zuerst im Sub engagiert, Filmabende organisiert, damals aber feststellen müssen, dass die Community sehr begrenzte Interessen hatte. Wenn ich also irgendwelche Klassiker gezeigt habe, dann war der Laden voll, wenn es um Homosexuelle im Alter ging oder um die Situation von Schwulen und Lesben in der „Dritten Welt“, dann waren 3 oder 5 Leute bei den Filmvorführungen. So war das damals und heutzutage ist das Gott sei Dank wesentlich besser geworden. Auch der CSD war viele Jahre apolitisch. Ich bin jedes Jahr hingegangen und spätestens bei der Unterhosen-Modenschau wieder abgehauen und hab mich geschämt, weil ich mich gefragt habe: Wo bleibt hier die Politik und der Anspruch?

Ich habe dann 1999 den Candy Club gegründet, ein Versuch eine eigene Veranstaltung zu machen, die sich öffnet, mit anderer Musik und die auch versucht, GEMEINSAM mit unseren heterosexuellen Freundinnen und Freunden zu feiern. Und daraus, aus dieser Veranstaltung wurde ich eingeladen, das CSD-Kulturprogramm zu gestalten, was ich jahrelang gemacht habe, aber in dem Versuch, die Vielfalt unserer Community darzustellen, die heute noch größer, noch bunter, noch schöner geworden ist. Das waren die ersten Ansätze – seit 2000 haben wir hier endlich einen politischen CSD jedes Jahr und es ist verdammt noch mal wichtig, dass es so ist.

Und dann, 2002 war es glaub ich, habe ich dem CSD-Team gesagt: “Wir müssen in der Stadtpolitik ankommen”, und hatte die Idee zum Rathaus-Clubbing. Das haben wir damals beim Oberbürgermeister Ude durchgesetzt und als es zum ersten Mal durchgeführt war, morgens um 5, kam ein über 60jähriger Schwuler zu mir, mit Tränen in den Augen und hat sich bedankt und hat gesagt: “Dass ich sowas noch erleben darf, dass wir, die wir früher weggesperrt wurden, jetzt im Rathaus feiern. Jetzt sind wir endlich Teil dieser Gesellschaft.” Das war ein weiterer wichtiger Schritt für uns.

An vielen Ecken haben engagierte Menschen aus der Community weitergearbeitet. Es sind Strukturen entstanden wie LeTra, Sub, später dann Diversity. Es wurden Kontaktstellen bei der Polizei eingerichtet – danke an Manfred Edinger für seine jahrelange gute Arbeit in diesem Bereich – und schliesslich dann: die Ehe für alle.

Wir sind also im Mainstream angekommen.

Für mich bedeutete das immer, ausgehend von den eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung, dass wir jetzt eine Verpflichtung haben, nämlich dass WIR uns jetzt verstärkt für die anderen einzusetzen müssen. Und so bin ich 2013 mit MunichKievQueer auf den dortigen Pride gefahren. Wir waren wieder nur 90 Leute vor 6 Jahren. Dieses Jahr waren in Kiev bereits 4-5000 Menschen. Es ist immer ganz wichtig, dass irgendwo Einzelne anfangen, diese Bewegung anzuführen.

Und jetzt, gerade durch und mit den Geflüchteten erfahren wir aber, dass es in der mainstreamisierten Community die gleichen Probleme gibt, wie im Mainstream selbst: Transphobie, Abwertung von anderen, Rassismus, Übergriffigkeiten.

Als Gesellschaft müssen wir das jedoch überwinden und das beginnt vor der eigenen Haustüre.

Wenn Ihr also heute Abend z. B. beim Rathausclubbing People Of Colour begegnet, dann tut das auf Augenhöhe. Jemand in die Haare zu fassen ist übergriffig, jemanden zu fragen, woher er kommt (auch wenn das nicht böse gemeint ist) ist erst einmal eine Abgrenzung. Man fragt nicht zuerst nach den Unterschieden, sondern man geht auf die gemeinsamen Wege und auf die gemeinsame Suche. Wir müssen uns aufeinander zubewegen, wir müssen lernen zuzuhören, wir müssen verstehen, dass wir auch von Menschen etwas lernen können, die aus vollkommen anderen Kulturkreisen zu uns kommen. Wir sollten uns also für das Fremde und die Anderen interessieren und sie auch selbst definieren lassen, wie sie mit uns zusammen kommen möchten.

Wenn der CSD nur glänzt, weil die Hülle so bunt ist, aber die darunter liegende Vielfalt strukturell nicht wirklich gelebt und genossen wird, dann haben wir ein Problem. Die Welt ist nunmal verdammt bunt und das ist auch wirklich gut so.Und damit aus dem Gay Pride ein Human Pride werden werden kann, müssen wir zu Verbündeten der Menschen mit Diskriminierungen werden: Männer müssen sich für Frauen einsetzen, Weiße für Schwarze, sog. Biodeutsche für Deutsche mit Migrationsvordergrund, Heteros für Queers und die scheinbar gesunden Menschen für Menschen mit Handicap. Das ist eine solidarische und sozial-gerechte Gesellschaft, auf die wir hinarbeiten müssen.

Jede und jeder von uns muss darin den eigenen Platz finden und kann ihn auch finden, ob das nun im Arbeitsumfeld anfängt oder in der eigenen Familie, im Freundeskreis oder ob man sich politisch engagiert: Solidarität beginnt vor der eigenen Haustüre, Demokratie beginnt im eigenen Umfeld.

Ich persönlich hab mich aus diesen Gründen dafür entschieden, mich stärker in die Politik einzubringen und werde deswegen als OB-Kandidat bei der Stadtratswahl im März 2020 kandidieren. Damit ich mich an Eurer Seite noch wirkungsmächtiger einsetzen kann, für die Gleichberechtigung unserer Community, aber auch für eine solidarische und sozial-gerechte Stadtgesellschaft und für ein buntes Leben aller Menschen unter dem Regenbogen, der ja nicht nur das Kennzeichen der queeren Community ist, sondern auch ein Symbol für den Frieden, für ein friedliches, gleichberechtigtes Zusammenleben aller Menschen!

Mir ist jetzt noch etwas ganz wichtig: Ich habe dieses Jahr nach 20 Jahren zum ersten Mal den CSD sehr unangenehm erlebt durch das Auftreten der Polizei. Ihr habt es vielleicht auch gesehen: Es gab immer wieder Trupps von 8-10 Polizisten, die gefilmt haben. Das geht nicht – die haben bei uns nichts verloren. Es ist eine friedliche Parade, wir wollen nicht überwacht werden und in irgendwelchen Karteien landen!

Und der zweite Punkt der mir wichtig ist zur Debatte um die Teilnahme der CSU: Solange die CSU sich nicht für die Menschenrechte einsetzt – für wirklich ALLE Menschenrechte – ist es eine Heuchelei, wenn sie es bei uns am CSD tut und dann ist es auch gerechtfertigt, wenn vor ihrem Wagen z.B. ein Die-In stattfindet. Ich selbst wurde Zeuge, wie ca 10 Personen festgesetzt wurden, die an diesem Die-In beteiligt waren: Aus der Demonstration rausgedrängt, an die Wand gestellt. Wir Zeugen – 2 oder 3 Zeugen waren da – wurden weggeschubst und haben Platzverbot bekommen. Das ist nicht das München, das wir wollen. Wir wollen ein anderes, gemeinsames, buntes, solidarisches München und ich nehme hier ganz gerne das Motto vom Kiev Pride 2013 auf, die haben gesagt: Human rights are our pride.

In diesem Sinne: Menschenrechte sind unser Stolz!

Happy Pride, genießt den CSD und passt bitte aufeinander auf!

München, 13.7.2019

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